Zwischen den beiden Portalkränen des Güterzentrums Wien Süd fühlen sich Besucherinnen und Besucher schnell klein und unbedeutend. Die rund 20 Meter hohen Kolosse bewegen sich auf den Schienen, die das Zentrum in Inzersdorf durchlaufen. Auf zwei Beinen sehen sie aus wie riesige Kraniche, die mit bis zu 120 Metern pro Minute vor- und zurückgleiten. Ihre Aufgabe ist, Container von Zügen zu heben und sie später für den Weitertransport auf andere Verkehrsmittel zu laden. Dafür braucht es in erster Linie ordentlich Power. Die Kräne, 270 Tonnen schwer und stolze drei Millionen Euro wert, schaffen satte 41 Tonnen. Da sind selbst schwerste Container keine große Herausforderung. Das einzige, das die Kräne stoppen kann, ist der Wind. Bei Geschwindigkeiten von über 70 Kilometern pro Stunde schalten sie automatisch ab. Bei höheren Windgeschwindigkeiten könnte die Last beginnen zu pendeln.
Momentan steuert das Güterzentrum auf den Vollbetrieb zu. Aktuell werden täglich drei Ganzzüge verladen. Der Begriff bezeichnet Güterzüge, die von Anfang bis Ende als Einheit fahren. Zusätzlich werden momentan rund 150 Lkw-Fahrten abgewickelt. Im Vollbetrieb werden die Zahlen steigen, da noch ein Nachtbetrieb dazukommt und die Arbeiten dann rund um die Uhr laufen sollen. Aktuell gibt es hier zwei Portalkräne, ein Ausbau auf vier ist dank Modulbauweise realistisch.
Doch auch so sind die Dimensionen des Projekts beeindruckend. 246 Millionen Euro wurden investiert. Das Gelände ist 55 Hektar groß, das entspricht rund 77 Fußballfeldern oder rund der Hälfte der Fläche der Josefstadt. 38 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt es momentan. Insgesamt hat man hier Abstellfläche für 3.260 TEU, oder "Twenty-foot Equivalent Unit". Zum Vergleich: 1 TEU entspricht einem 20-Fuß- oder sechs Meter langen Container.
Ernest Wesely ist in der Terminalleitung für die Vorplanung zuständig. "Ich kriege die Angebote der Operator der Transportunternehmen rein und stimme dann ab, ob für einen Zug zu einem bestimmten Zeitpunkt oder Slot noch Platz bei uns ist." Die Auslastung ist schon jetzt hoch. Früher war Wesely Disponent im Nordwestbahnhof. Der Wechsel zum Güterzentrum war ein Quantensprung. "Es ist eine wesentlich größere Herausforderung, hier zu arbeiten. Es gibt einfach viel mehr Verkehr und es ist definitiv anstrengender."
Vor der Fertigstellung des neuen Güterterminals wurden Züge und Güter am Nordwestbahnhof verladen und verschoben. Einiges sprach gegen eine Fortführung des Betriebs dort. Hauptproblem war die Lage in der Stadt und die Lärmbelastung für die Wienerinnen und Wiener. "Das neue Zentrum liegt verkehrsgünstiger", sagt Wesely. "Wir sparen uns zahlreiche Lkw-Fahrten durch das Stadtgebiet." Das Nordwestbahnhof-Areal wird von der Stadt Wien nun einem neuen Zweck zugeführt. Bis 2025 entsteht dort ein völlig neuer und moderner Stadtteil.
Das Güterzentrum macht damit Wien nicht nur zu einem der bedeutendsten europäischen Knotenpunkte im Güterverkehr. Von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer und zur Adria entsteht ein Gütertransportnetz, dessen Herzschlag in Inzersdorf pocht. Das Zentrum trägt dazu bei, die Lebensqualität in der Stadt noch weiter zu verbessern. Denn weniger Lkw im Stadtgebiet bedeuten weniger Lärm, Feinstaub und Verkehr, aber dafür mehr Luft zum Atmen für alle. Das Güterzentrum Inzersdorf hatte von Anfang an auch diese wichtige Mission: Der Verkehr muss weg von der Straße und rauf auf die umweltfreundlichere Schiene.
Man rechnet, damit schon dieses Jahr 60.000 Lkw-Fahrten zu sparen. Im endgültigen Vollbetrieb sollen es sogar 220.000 sein. Der Anteil der Schiene am allgemeinen Güterverkehr in Österreich wird steigen. Aktuell liegt er bei 30 Prozent, 40 sollen es mindestens werden. Somit liegt das Projekt auf einer Linie mit dem Klimaschutzprogramm der Stadt Wien.