Bernhard Paul: Ich bin in Wilhelmsburg aufgewachsen, das ist nahe bei St. Pölten, und dort machte eines Tages der Circus Rebernigg Halt. Das war der Österreichische Nationalzirkus damals. Den habe ich gesehen und war hin und weg. Ich war sechs Jahre alt und habe nachher zu meinen Eltern gesagt: "Ich mache einen Zirkus, ich werde einmal ein Clown". Die haben gesagt "Wenn du nichts Gescheites lernst, landest eh einmal im Zirkus" und solche Sprüche. Die Jahre vergingen und der Gedanke ging mir nie aus dem Kopf. Mit 28 war ich dann Artdirector der größten Werbeagentur und habe mir gedacht: "War's das jetzt, bleibt das jetzt das ganze Leben so?" Die Siebzigerjahre waren die Zeit, wo andere nach Indien ausgestiegen sind. Ich habe beschlossen, das zu tun, was ich immer schon wollte: einen kleinen Zirkus. Ich bin der Idee immer treu geblieben.
Als ich die Idee hatte den Zirkus zu machen, stand im Profil, unser Artdirector ist verrückt geworden, der macht jetzt einen Zirkus. Dann kam André Heller hinzu und es stand wieder in der Zeitung. Darauf meldete sich der Intendant eines Bonner Kulturfestivals und lud uns ein, die Welturaufführung auszurichten. Das war unser erstes Gastspiel und es folgten weitere Termine in Deutschland. Die letzte Station war München, wo der Heller und ich uns zerstritten haben. Im Oktober 1976 spielten wir zum ersten Mal in Wien, und zwar auf der Wiese beim Arsenal vor dem Museum des 20. Jahrhunderts. Im Folgejahr bekamen wir einen Vertrag für mehrere Vorstellungen im Rahmen der Wiener Festwochen. Nach den Aufführungen in St. Marx, Favoriten und Kagran gab es am Ende Streitereien ums Geld. Bei Vertragsunterzeichnung habe ich einen Teil gekriegt, aber als wir fertig waren, hieß es plötzlich, das Budget wurde gekürzt, es gibt jetzt nur mehr die Hälfte der ausständigen Gage. Ich habe gesagt: "Das kann es jetzt aber nicht sein." Wir haben den ganzen Vertrag erfüllt und ich brauchte das Geld, um die Artisten bezahlen zu können. Für mich blieb sowieso nichts übrig. Ich war so zornig und beschloss deshalb, Österreich und Wien zu verlassen.
Als ich dann nach Deutschland ging, wurde ich wieder vom Profil interviewt und ich wurde gefragt: "Wann kommst du wieder nach Wien?" Ich habe gesagt: "Ich komme erst wieder, wenn ich am Rathausplatz spielen darf und die Hertha Firnberg das Nummerngirl macht." Daraufhin war lange nichts. Eines Tages, Ursula Pasterk war die Festwochenintendantin, kam sie im Auftrag von Helmut Zilk zu mir nach Deutschland und fragte: "Du hast doch einmal gesagt, du kommst wieder nach Wien, wenn du am Rathausplatz spielen darfst und die Firnberg das Nummerngirl macht. Stehst du noch dazu?". Ich habe geantwortet: "Ich stehe immer zu dem, was ich sage." Darauf sagt die Pasterk: "Also die Firnberg geht nimmer, aber ich mach das Nummerngirl, wenn du willst." Daraufhin sind wir 1993 mit dem Circus Roncalli auf den Rathausplatz gekommen. Ich habe dann sogar im Zirkuszelt geheiratet und Helmut Zilk war mein Trauzeuge.
Nein, nein. Es kommt immer die Zeile vor, der Zirkus, der aus Wien kommt, der Wiener Bernhard Paul, der Wiener Charme und so weiter. Ich gelte ja als Wiener, was kein Nachteil ist. Ab 13 Jahren war ich eh immer in Wien. Natürlich war ich jahrelang in Deutschland unterwegs und wurde gefeiert. Johannes Rau, der damalige Bundespräsident, hat mir das deutsche Bundesverdienstkreuz gegeben und mich als deutschen Beitrag nach Sevilla zur Weltausstellung geschickt. Wir waren in Kultur-Mission als deutscher Beitrag in Moskau bei Gorbatschow. Also, der Rau hat uns überall hingeschickt in deutschem Namen. Und er hat immer wieder gesagt: "Du kriegst die Staatsbürgerschaft." Sagte ich: "Nein, ich bin ein Österreicher und ich bleib ein Österreicher." Ich bin ja dagegen, dass es zwei Staatsbürgerschaften gibt. Ich habe mich immer als Österreicher gefühlt und ich habe immer Heimweh gehabt. Ein Leben lang. Speziell nach Wien, weil das für mich die wichtigsten Jahre waren. Und ich habe eine Geschichte als Wiener. Mein Urgroßvater war der Librettist von Johann Strauss und hat den Originaltext vom Donauwalzer geschrieben.
Ein Zirkus hat ein Konzept. Wichtig ist, dass das Kleinkind und der Intellektuelle an derselben Stelle lachen und staunen. Weil das soll sehr demokratisch sein. Es soll sich nicht nur an Minderheiten oder elitäre Schichten richten. Der Zirkus ist für alle da. Natürlich stellt sich die Frage, was ist eigentlich ein Zirkus. Also, all die Dinge, die nicht jeder kann: die Exotik, die Erotik, die Akrobatik. Ich habe immer außerhalb des Üblichen Dinge gesucht. Beispielsweise die Seifenblasennummer ab den 1980er-Jahren. Seitdem gibt's im Zirkus Seifenblasen. Das hat es vorher nicht gegeben. Oder ein Pantomime, der im Theater gespielt hat. Den habe ich genauso in den Zirkus geholt wie Pariser Straßenkünstler. Das ist heute ein Zirkuselement auf der ganzen Welt, das Improvisieren mit Publikum. Und Beatboxen ist vorher auch nie im Zirkus gewesen. Das hatte dort nichts verloren. Ich habe den gesehen und mir gedacht, das könnte man ausprobieren. Und siehe da, unser Beatboxer ist nun Publikumsliebling. Man muss immer neue Wege gehen, aber es darf kein Fremdkörper sein.
Jedes Jahr geht nicht aus verschiedenen Gründen. Zwei bis drei Jahre sind der richtige Rhythmus, denn wir wollen nach Wien immer mit neuem Programm kommen. Die Sache ist die: Diesen Aufwand, den wir betreiben, mit großem Orchester, mit Ballett, mit den ganzen alten Zirkuswägen, das Material, was wir herumschleppen, da kann man nicht drei Tage in Gramatneusiedl und vier Tage in Stein an der Donau spielen. Das rechnet sich rein kaufmännisch nicht. Wir machen aber sehr viele soziale Sachen. Wir laden viele bedürftige Wiener ein, auch Waisenhäuser und tun alles Mögliche, ohne es an die große Glocke zu hängen. Ich habe das letzte Mal dem Bürgermeister 1.000 Karten gegeben, für die Sachen, die er noch hat für bedürftige Kinder. Da arbeiten wir immer zusammen. Der Herr Häupl hat gesagt: "Ihr habt Vorbildcharakter, und das ist gut. Ihr kostet nichts und bringt's was für die Wiener Familien."
Der Zirkusdirektor hat in den Jahren seiner künstlerischen Erfolgslaufbahn bereits mehrere hochkarätige Auszeichnungen erhalten. 1994 erhielt Bernhard Paul das Verdienstkreuz des Landes Wien in Gold vom damaligen Bürgermeister Helmut Zilk. Das deutsche Bundesverdienstkreuz bekam er 1996 verliehen. 2008 wurde er als "Auslandsösterreicher des Jahres" gewählt. Am 22. September 2016 überreichte Michael Häupl dem großen Künstler und Menschenfreund den Goldenen Rathausmann. Selbstverständlich auf dem Rathausplatz, um den er so lange kämpfen musste.
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